Mitten auf dem Hauptplatz Linz (Österreich) stand der temporäre „ Lynkeus Turm“ und warf die Frage nach der Macht des Sehens und seiner kritischen Selbstreflexion auf. Ein Aussichtsturm ohne Aussicht, ein hoher Turm, der keine Macht ausstrahlt - statt des weiten Blicks, mit dem man von oben die Welt überblicken oder gar überwachen könnte, gab es nur einen Blick auf das eigene Ich. Dies sollte uns ermutigen, verschiedene Arten des Sehens zu erkunden: Wie sehen wir? Wer sieht für uns, wer sagt uns, was wir sehen? Was wollen wir sehen?
Der Turm war eine 18 m hohe, temporäre Installation, deren Grundstruktur aus einem filigranen Stahlgerüst besteht. In dieses wurden zwei schwarze Körper aus Holz und Textil eingefügt. Diese bilden einen langen Tunnel als Eingang, der die Basis des Turms durchschneidet, sowie einen verdeckten Raum, der auf der Spitze des Turmes sitzt.
Die Begehung des Turmes folgt einer bestimmten Dramaturgie: Der Zugang führt durch den abgedunkelten Tunnel, der das Treiben auf dem Platz ausblendet und sich allein auf den bevorstehenden Aufstieg konzentriert. Erst nach einigen Stufen wird der Blick wieder frei, nun aus einer erhöhten Perspektive. Man folgt der Treppe Stockwerk für Stockwerk - immer in der Erwartung einer noch besseren Aussicht. Doch die Plattform ganz oben, die endlich hoch genug wäre, um über die Dächer zu schauen, ist verhüllt.
Folgt man dem Weg durch den abgedunkelten Zwischenraum, gelangt man in die Mitte: die eigentliche Aussicht von „Lynkeus Turm“! Es handelt sich um einen vollständig verspiegelten Kubus, der zum Himmel hin offen ist. Die endlosen Spiegelungen schaffen eine abstrakte Welt, in der es schlicht nichts fremdes zu beobachten gibt. Man ist ganz allein mit dem Himmel und sieht doch viele Menschen: die unendliche Anzahl von Spiegelungen seiner selbst. Das Erlebnis wird durch das Rauschen des Windes und das leichte Schwanken der Stahlkonstruktion verstärkt und schafft eine Atmosphäre, die sich vom Alltag auf dem Hauptplatz völlig abhebt.
Der Lynkeus Turm wurde im Rahmen des Ars Electronica Festivals 2024 für die Ausstellung „Lynkeus Traum“ der Kunstuniversität Linz errichtet und war eine Woche lang für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Unter dem Leitthema „Hope“ stand die Ausstellung ganz im Zeichen des Sehens.
Lynkeus, eine Figur aus der griechischen Mythologie, hatte eine besondere Gabe: Sein aufmerksames Auge half ihm nicht nur, die schönen Momente in unserer Welt zu erkennen, sondern sein eigentlich technischer Blick erlaubte es ihm, tief in das Innerste der Dinge zu blicken. Lynkeus, der Turm, eine Zeit der vielen Krisen und viele Fragen über die Macht des Sehens waren der Ausgangspunkt der Ausstellung.
Infos zum Projekt auf der Website der Kunstuniversität Linz
Idee und Konzept: Paul Eis, Max Meindl, Prof. Manuela Naveau,
Kuratorin: Prof. Manuela Naveau
Architektur: Paul Eis, Max Meindl
Projektleitung & Bauleitung: Paul Eis
Tragwerk und Ausführung des Turmes: Knierzinger Industriegerüste GmbH
Produktionsteam: Daniel Burgos, Vahid Ghaderi, Samin Goochi, Samuel Haas, Ahmed Jamal, Louisa Seidl, Omid Zolfaghari
organisatorischer Support: Sylvia Leitner
Grafikdesign: MOOI design